Siegfried
I. Aufzug
I. AUFZUG
Wald vor Mimes Felsenhöhle – „Die Freuden der Erziehung“
Jahrzehnte später. In Hundings einstiger Wohnung hat Mime den nun erwachsenen Siegfried in einer Scheinwelt zwischen Puppenfreunden und Jungenspielzeug aufgezogen. Der merklich gealterte, aber nur gebrechlich wirkende Erzieher hat die Hoffnung auf die Befreiung und Errettung des unvergessenen Entführungskinds aus dem Rheingold noch nicht aufgegeben. Doch wie soll er gegen dessen Adoptivvater Fafner bestehen können?
Siegfrieds Geburtstag steht an, und Mime erwartet freudig seine Heimkehr. Doch als der junge Held endlich kommt, ist er stark berauscht und gerät immer mehr in Missstimmung, seit langem genährt von der durch Abhängigkeitszwänge belasteten Beziehung zu seinem Ziehvater. Mimes echte Liebesmühe findet in Siegfried auch kulinarisch keinerlei Widerhall. Das abendliche Pflegeritual und Mimes ausweichende Antworten auf Siegfrieds drängende Fragen nach seiner Herkunft belasten das Verhältnis zusehends. Unter Druck gesetzt, erzählt Mime schließlich von Siegfrieds Mutter Sieglinde, deutet weitere Herkunftssplitter aber nur an. Wütend und unbefriedigt zieht Siegfried ab.
Nach langen Jahren der Abwesenheit zieht es den „Wanderer“ Wotan wieder zu den ganz persönlichen Geistern seiner Vergangenheit zurück. Der unangekündigte Besucher hält den unwilligen Mime zu einem Gespräch in seinen eigenen vier Wänden fest. Die anfänglich nostalgische Fragestunde gerät zum grausamen Kreuzverhör über eigene Fehlleistungen und Versäumnisse. Innerlich aufgewühlt hinterlässt Wotan ein Geschenk für Siegfried.
Mime bangt vor der Zukunft und vor Fafner. Statt für sexuelle Aufklärung, die ihn das Fürchten lehren könnte, interessiert sich der zurückgekehrte Siegfried mehr für das Wälsungen-Geschenk: Was scheinbar nur eine Krücke ist, entpuppt sich als veritable Waffe. Mit Verstandesschärfe enttarnt Siegfried die von Mime konstruierte Welt, vernichtet die falschen Symbole seiner angeblichen Herkunft und befreit sich rauschhaft vom falschen Gestern.
Siegfried
II. Aufzug
II. AUFZUG
Tiefer Wald – „Patriarchendämmerung“
Vor brennendem Kamin lagert der greise Fafner als Hausherr auf seinem Totenbett – er will und kann nicht sterben. Ihm stets zur Seite wacht Hagen, der pflegende Beutesohn, um den er einst den Bruder erschlug. Alberich kündigt sich an. Seit jeher wartet er auf Fafners Tod, um Hagen auf seine Seite zu bringen. Auch Wotan erscheint unverhofft nach Jahren der Trennung. Im Gespräch der beiden Brüder äußern sich die Unterschiede ihrer Wesensarten: Während Wotan vordergründig gelassen das Geschehen beobachtet, giert Alberich noch immer nach Macht. Doch vorerst sind beide Verlierer der Geschichte: Fafner hegt kein Interesse an Einsicht oder Veränderung.
Mime trifft in großer Erregung mit dem verkaterten Siegfried ein. Vom Ziehvater kurzerhand alleine gelassen, öffnet sich Siegfried seiner Mitwelt und bemerkt in Hagens Rolle bei Fafner eine tiefe Ähnlichkeit zu seiner eigenen Mime gegenüber. Mit dem Waldvogel, einer geplagten Pflegekraft, lotet er nach anfänglichen Missverständnissen bald persönliche Grenzen aus. Ihre Zweisamkeit bleibt nicht unbeobachtet: Fafner erhebt sich von seinem Lager; er überlebt das Aufeinandertreffen mit dem schuldlos-schuldhaften Siegfried nicht. Zwischen tatenlosen Beobachtern stirbt der Greis ohne jede Hilfeleistung. Schließlich findet Siegfried in Hagen einen Verbündeten. Ihr Mord an Mime besiegelt die Loslösung von der Vergangenheit und der Waldvogel weist ihnen den Weg zu neuen Abenteuern.
Siegfried
III. Aufzug
III. AUFZUG
Wilde Gegend, dann: Höhe eines Felsengipfels – „Generationswechsel“
Später am selben, nunmehr erkalteten Ort. Erblindet schweift Erda zwischen den Toten umher. Wotan drängt es, seine Sorgen mit der einstigen Geliebten zu teilen, aber sie hat ihm nichts mehr zu sagen. Bestürzt über die Bestrafung der gemeinsamen Tochter Brünnhilde, wendet sie sich von ihm ab. Wotan erkennt enttäuscht, dass sie nicht mehr zueinander finden werden.
Müde von der erfolglosen Suche, gönnen sich Siegfried und Hagen ein wenig Rast. Sie treffen auf den Übervater Wotan, und das Gespräch läuft schnell aus dem Ruder. Von Siegfried geschlagen, erkennt Wotan seine Unterlegenheit an und zieht sich für immer zurück.
Aus Walhall tritt Brünnhilde, der Vergänglichkeit enthoben. Ihr langjähriger Vertrauter und hingebungsvoller Pfleger Grane begleitet sie auf ihrem regelmäßigen Gang ins Freie. Fasziniert von ihrem Anblick, missachtet Siegfried den neugewonnenen Freund Hagen, der sich schmerzlich enttäuscht entfernt. In großer Verletzlichkeit erlebt Brünnhilde ihre enthüllende Erweckung durch Siegfried, den sie erwartet zu haben scheint, zunächst als übergriffig. Behutsam muss sie ihre Ängste überwinden und Vertrauen aufbauen. Aber auch das mütterliche Frauenbild des plötzlich furchtsamen Siegfried wird nachhaltig erschüttert. Die Annäherungen werden erschwert durch die schmerzvolle Konfrontation mit sich selbst. Doch Brünnhilde begreift, dass sie gemeinsam mit Siegfried die verhasste Welt, von der sie so hart bestraft wurde, wirklich verändern kann. Zwischen Liebessehnsucht und Todestrieb feiert das militante Duo eine befreite Zukunft, die nur ihnen gehören soll.
Bayreuther Festspiele
Musikalische Leitung | Cornelius Meister (2022), Pietari Inkinen (2023), Philippe Jordan (2024) |
Regie | Valentin Schwarz |
Bühne | Andrea Cozzi |
Kostüm | Andy Besuch |
Dramaturgie | Konrad Kuhn |
Licht |
Reinhard Traub (2022), Nicol Hungsberg (2023) |
Video |
Luis August Krawen |
Fotos |
Enrico Nawrath |